„Aber ich hatte doch eine glückliche Kindheit … warum lande ich bei einem Narzissten?“
- Marion Schimmelpfennig

- 11. Aug.
- 2 Min. Lesezeit

Viele von uns sagen: „Meine Kindheit war schön. Meine Eltern waren die besten der Welt.“ Und das stimmt vielleicht auch – und dennoch kann man als Erwachsener in einer Beziehung landen, die einen zerbricht. Das klingt im ersten Moment unlogisch, ist aber psychologisch gar nicht so selten.
Denn „gut“ heißt nicht automatisch „emotional sicher“. Es gibt Kindheiten, die nach außen wunderbar aussehen – liebevoll, strukturiert, stabil –, und doch wirken darin leise, kaum sichtbare Dynamiken, die sich tief einprägen: Gefühle, die man lieber nicht zeigte, weil sie irritierten oder zu viel waren. Eltern, die aufrichtig bemüht und auf ihre Weise zugewandt waren, aber nicht immer in Kontakt. Zuwendung, die an Bedingungen geknüpft war: angepasst sein, funktionieren, nicht widersprechen, nicht stören. Eine Harmonie, die nur so lange hielt, wie man keine allzu menschlichen Bedürfnisse zeigte.
Häufig sind es sogar ganz alltägliche, harmlos wirkende Erlebnisse, die ein kindliches Nervensystem überfordern: ein einziger Moment emotionaler Verlassenheit, ein Blick, der abwertet, ein Satz, der beschämt – ohne böse Absicht, aber mit großer Wirkung. Kein offener Missbrauch, keine Gewalt – und dennoch ein Kind, das früh lernt, sich selbst zu regulieren, zu verbergen, zu verlieren.
Das ist kein Verrat an der eigenen Familie, sondern eine Tatsache: Bindungsmuster entstehen nicht durch einzelne Erinnerungen, sondern durch das, was wir unbewusst lernen. Wer als Kind lernt, dass Liebe auch bedeutet, sich zurückzunehmen oder die Stimmung der Eltern zu stabilisieren, hält als Erwachsener manchmal länger durch als gut ist. Selbst bei Menschen, die von Anfang an durch Manipulation und Täuschung auffallen müssten.
Eine „gute Kindheit“ schließt also nicht aus, dass uns jemand emotional ausbluten kann – im Gegenteil. Wenn wir nie gelernt haben, dass Liebe auch Grenzen, Klarheit und Schutz bedeutet, sind wir manchmal besonders gefährdet.
Die wichtigste Erkenntnis ist jedoch: Das ist kein Beweis für Schwäche, Blindheit oder Dummheit. Es ist ein Beweis dafür, wie tief unsere frühen Prägungen wirken – und wie mutig es ist, sich das ehrlich anzusehen. Heilung beginnt oft genau dort, wo wir das eigene „Es war doch alles gut“ hinterfragen dürfen, ohne Schuldzuweisungen, aber mit ehrlicher Neugier.




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