Sich wieder sicher im eigenen Körper fühlen: Der erste Schritt zur Entspannung bei überlastetem Nervensystem
- Marion Schimmelpfennig

- 30. Okt.
- 2 Min. Lesezeit

Warum du dich nicht entspannen kannst – und das völlig in Ordnung ist
Viele Menschen versuchen zu meditieren oder einfach mal „runterzukommen“ – und scheitern. Kaum sind die Augen geschlossen, wird der Atem flach, der Körper unruhig, die Gedanken rasen. Manche spüren gar nichts mehr, andere Panik. Und sie fragen sich: Was stimmt nicht mit mir? Die Antwort: Gar nichts. Du bist nicht unfähig zur Entspannung – dein Körper glaubt nur, dass Sicherheit gefährlich ist.
Warum Sicherheit die Voraussetzung für Entspannung ist
Unser Nervensystem ist darauf programmiert, uns zu schützen. Wer über längere Zeit Angst, Stress oder Missbrauch erlebt hat, dessen Körper lernt, dass Ruhe gefährlich ist. Im Trauma war Stillstand gleichbedeutend mit Ausgeliefertsein – also bleibt der Körper lieber in Alarmbereitschaft. Er hält dich wach, angespannt, bereit. Darum funktioniert Entspannung nicht auf Kommando. Sie entsteht erst, wenn der Körper begreift: Ich bin jetzt sicher.
Der erste Schritt: Dich selbst wieder spüren
Viele Menschen, die ein überreiztes Nervensystem haben, spüren ihren Körper kaum noch. Sie leben „vom Hals aufwärts“. Gefühle, Wärme, Spannung, Atmung – alles läuft auf Sparflamme. Doch genau hier beginnt Heilung. Es geht nicht darum, sofort loszulassen, sondern wieder Kontakt mit sich selbst aufzunehmen.
Das Ziel ist:
den Körper wieder zu bewohnen, Reize wahrzunehmen, ohne Angst, kleine Momente von Sicherheit zu erkennen. Das ist kein spiritueller Prozess, sondern ein biologischer: Der Vagusnerv, der für Ruhe und Verdauung zuständig ist, kann nur aktiv werden, wenn der Körper Sicherheit registriert.
Wie du dich wieder sicher im eigenen Körper fühlst
Hier beginnt der praktische Teil. Sicherheit entsteht durch kleine, körperliche Erfahrungen, nicht durch Gedanken. Diese Übungen helfen dir, Schritt für Schritt wieder bei dir anzukommen:
1️⃣ Fühl den Boden unter dir. Drück mit den Füßen leicht gegen den Boden. Spür das Gewicht deiner Beine. Der Boden trägt dich – immer.
2️⃣ Schau dich im Raum um. Sieh dich bewusst um, benenne still drei Farben oder Gegenstände. Das signalisiert deinem Gehirn: Hier ist keine Gefahr.
3️⃣ Beweg dich, wenn dein Körper es will. Zittern, Gähnen, Dehnen – alles erlaubt. Das sind Zeichen, dass gespeicherte Energie abfließt. Unterdrück sie nicht.
4️⃣ Finde deinen sicheren Ort. Erinnere dich an einen Ort oder ein Wesen (z. B. ein Tier), bei dem du dich ruhig fühlst. Spür in dich hinein: Wo in deinem Körper wird es ein wenig weicher? Mehr braucht es nicht.
5️⃣ Atme nicht tief – atme bewusst. Tiefer Atem kann überfordern. Beobachte lieber, wie du atmest, ohne etwas zu verändern. Das ist Regulierung, kein Zwang.
Woran du erkennst, dass du Fortschritte machst
Du reagierst nicht mehr sofort auf jeden Reiz.
Dein Körpergefühl kehrt zurück – manchmal erst als Spannung oder Kribbeln.
Du fühlst dich häufiger „anwesend“ statt neben dir.
Du kannst kurz innehalten, ohne Fluchtimpuls.
Du brauchst keine ständige Ablenkung mehr.
Diese Zeichen bedeuten nicht, dass du „geheilt“ bist, sondern dass dein Nervensystem langsam Vertrauen fasst.
Wann professionelle Begleitung sinnvoll ist
Wenn du beim Spüren Angst bekommst, wenn alte Erinnerungen hochkommen oder dein Körper zu stark reagiert, brauchst du kein „Mehr Mut“, sondern Halt. Ein traumasensibler Coach oder Therapeut kann dich begleiten, dein System sicher zu regulieren.
Denn Heilung geschieht nicht durch Heldentum, sondern durch Sicherheit.




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